Leeres Wartezimmer einer Physiotherapiepraxis als Symbol für fehlende Behandlungskapazitäten

Die physiotherapeutische Versorgung in Deutschland steht unter Druck. Besonders dort, wo sie eigentlich schnell funktionieren müsste.

Der Arbeitsunfall passiert am Montagmorgen.Ein falscher Tritt auf der Baustelle, ein Sturz im Lager, ein verdrehter Rücken beim Heben. Die Diagnose ist schnell gestellt. Die Versorgung danach nicht. Wer heute als BG-Patient Physiotherapie braucht, merkt oft erst nach dem Unfall, wie angespannt das System ist. Lange Wartezeiten, volle Praxen, eingeschränkte Kapazitäten. Dabei geht es hier nicht um Komfort, sondern um Arbeitsfähigkeit, Teilhabe, manchmal um Existenzen.

Ab dem 1. Januar 2026 gibt es dafür mehr Geld. 2,49 % mehr Vergütung – auch in der DGUV und der SVLFG. Das klingt nach Fortschritt. Ist aber vor allem eines: ein Stabilisierungssignal.

Die Entscheidung: bekannt – aber mit einer entscheidenden Erweiterung

Zur Einordnung: Die Vergütung für physiotherapeutische Leistungen steigt zum 1. Januar 2026 um 2,49 %. Diese Anpassung gilt nicht nur für die gesetzliche Krankenversicherung, sondern erstmals automatisch auch für die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) sowie für die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau.

Betroffen sind alle physiotherapeutischen Leistungen, inklusive Hausbesuche und Behandlungen im Rahmen der Blankoverordnung. Maßgeblich ist bei der DGUV – anders als in der GKV – der erste Behandlungstag. Beginnt die Behandlung 2026, gilt der neue Preis. Beginnt sie 2025, bleibt es beim alten. Das ist sachlich korrekt, technisch sauber und von den Berufsverbänden – unter anderem Physio Deutschland, IFK, VPT und VDB – transparent kommuniziert worden. Neu ist daran weniger die Zahl als die Logik dahinter.

Warum die DGUV mitzieht – nicht aus Großzügigkeit, sondern aus Systemlogik

Dass die DGUV-Vergütung steigt, ist kein eigenes Verhandlungsergebnis. Sie folgt einem Automatismus, der seit 2023 gilt: Vergütungsanpassungen der GKV werden auf die Unfallversicherung übertragen. Was nach Bürokratieabbau klingt, ist politisch gewollt. Weniger Sonderregelungen, weniger Parallelverträge, weniger Reibungsverluste.

Die DGUV folgt der GKV – nicht aus Großzügigkeit, sondern aus Systemlogik.

Für Praxen bedeutet das mehr Planbarkeit. Für das System bedeutet es weniger Konfliktpotenzial. Gleichzeitig verschwindet damit aber auch die Möglichkeit, die besondere Rolle der Unfallversorgung gesondert zu bewerten. Dabei geht es hier nicht um beliebige Leistungen, sondern um schnelle Rehabilitation, um berufliche Wiedereingliederung und um volkswirtschaftliche Stabilität.

Warum ausgerechnet 2,49 %? Das sogenannte Stabilisierungspaket

Die Zahl wirkt zufällig. Ist sie nicht. Die 2,49 % ergeben sich aus einem festgelegten Berechnungsmechanismus, der Kostenentwicklungen bei Personal, Miete und Sachaufwand berücksichtigt – und zugleich rückblickend korrigiert. Die für 2025 prognostizierten Kostensteigerungen sind geringer ausgefallen als erwartet. Dieser Unterschied wird nun verrechnet.

Das Ergebnis ist eine lineare Erhöhung ohne Schiedsverfahren, ohne Verzögerung, ohne Nachzahlungen. Branchenmedien wie up|unternehmen praxis sprechen von einem Stabilisierungspaket – und genau das beschreibt die Situation treffend. 2,49 % sind kein Aufbruch. Sie sind ein Signal: Bitte nicht weiter eskalieren. Nach Jahren mit Sonderregelungen, juristischen Auseinandersetzungen und politischer Unruhe sucht das System vor allem eines: Berechenbarkeit. Keine Überraschungen. Keine neuen Baustellen.

Politisch ist das verständlich. Strukturell ist es begrenzt.

Mehr Geld – und trotzdem keine echte Entlastung

Die entscheidende Frage ist nicht, ob 2,49 % richtig oder falsch sind. Die Frage ist: Was bewirken sie im Praxisalltag? Rechnerisch steigt das Honorar pro Behandlung um wenige Cent bis knapp einen Euro. Hochgerechnet bringt das einer durchschnittlichen Praxis einen dreistelligen Betrag im Monat. Das ist kein Nullsummenspiel – aber auch kein Befreiungsschlag.

Denn parallel steigen die Kosten weiter. Und vor allem steigen die Personalkosten. Viele Praxen nutzen Vergütungserhöhungen, um Mitarbeitende zu halten oder Gehälter anzupassen. Das ist notwendig – und richtig. Wirtschaftlich bleibt davon jedoch wenig übrig.

Mehr Vergütung landet nicht im System – sie landet im Überleben.

Was bleibt, ist das Gefühl, dass das System sich stabilisiert, ohne sich wirklich weiterzuentwickeln.

Der eigentliche Engpass heißt nicht Vergütung, sondern Fachkräftemangel

Hier liegt die eigentliche Bruchstelle. Der größte limitierende Faktor in der physiotherapeutischen Versorgung ist nicht der Preis, sondern der Mangel an qualifizierten Therapeuten. Aktuelle Auswertungen zeigen, dass zehntausende Stellen unbesetzt sind. Praxen könnten mehr leisten, wenn sie könnten. Sie können aber nicht.

Das betrifft die GKV. Und es betrifft die DGUV genauso. Was nützt eine höhere Vergütung für die Unfallversorgung, wenn kein Termin verfügbar ist? Was nützt ein System, das schnelle Rehabilitation verspricht, aber an der personellen Realität scheitert?

Ohne Therapeuten bleibt jede Vergütung eine Rechengröße.

Diese strukturelle Lücke lässt sich nicht mit Prozentpunkten schließen.

DGUV zwischen Anspruch und Realität

Die Unfallversicherung hat einen klaren Auftrag: schnelle, wirksame Rehabilitation. In der Theorie ein starkes System. In der Praxis zunehmend abhängig von einem Versorgungsnetz, das an seine Grenzen stößt.

Die Kopplung an die GKV bringt Ordnung. Sie bringt aber keine Antworten auf den Fachkräftemangel, keine zusätzlichen Anreize für Versorgung in der Fläche und keine strukturellen Lösungen für überlastete Praxen. Man könnte sagen: Die DGUV wird mitverwaltet – aber nicht weiterentwickelt.

Politische Relevanz: Verwaltung statt Gestaltung

Die Vergütungserhöhung 2026 ist politisch relevant, weil sie zeigt, wie das System derzeit funktioniert: vorsichtig, defensiv, konfliktscheu. Was fehlt, ist eine ehrliche politische Debatte darüber, wie therapeutische Versorgung in einer alternden Gesellschaft überhaupt noch funktionieren soll.

Stabilisierung ist kein Ersatz für Reform.

Solange diese Debatte ausbleibt, bleiben Vergütungserhöhungen notwendig, sind aber unzureichend.

Ein nüchterner Ausblick

Die DGUV Vergütung Physiotherapie 2026 steigt. Das ist gut. Sie steigt automatisch, planbar und ohne Konflikt. Das ist besser als Stillstand. Aber sie schafft keine zusätzlichen Kapazitäten. Sie bringt keine neuen Therapeuten ins System. Sie löst kein strukturelles Problem.

Die entscheidende Frage ist daher nicht, ob 2,49 % gerechtfertigt sind – sondern ob Stabilisierung reicht, wenn das Fundament bröckelt. Für Praxen bedeutet das, wirtschaftliche Prozesse klar zu organisieren, Abrechnung sicher zu steuern und Ressourcen realistisch zu planen. Nicht, weil Prozentpunkte das retten, sondern weil sie es nicht tun.

Digitale Partner wie Henara unterstützen Praxen genau an dieser Schnittstelle – dort, wo Vergütung endet und Organisation beginnt.